Seit mehr als drei Monaten wurde das Leben der Ukrainer:innen durch die russische Invasion erschüttert. Weniger sichtbar sind die Folgen für die Umwelt, die durch die russische Armee verursacht werden und zu der bereits bestehenden Gefahr der globalen Erwärmung hinzukommen. Die russischen Waffen schaden nicht nur der ukrainischen Bevölkerung und den Naturgütern des Landes, sondern schädigen das Ökosystem und das Klima der ganzen Erde. Die ökologischen Folgen des russischen Krieges in der Ukraine werden noch in Jahrzehnten spürbar sein.

Nach der Genfer Konvention werden Verbrechen gegen die Umwelt als Kriegsverbrechen eingestuft, denn „es ist verboten, Methoden oder Mittel der Kriegsführung anzuwenden, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie weit verbreitete, dauerhafte und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen“. Der Einsatz solcher Methoden kann als Ökozid eingestuft werden. 

Diese als Ökozid bezeichneten Handlungen werfen die Frage auf, wie ein Rechtsinstrument für die Rechenschaftspflicht in Klimafragen aussehen kann.  Russland muss sich für alle begangenen Verbrechen, einschließlich der Verbrechen gegen die Umwelt, vor einem internationalen Gericht verantworten – ein Gericht, das Gewalt gegen die Umwelt als Verbrechen anerkennt.

Abgebildet ist einer der rosa Seen im Kitburn Spit Reservat in der Ukraine.

Als die ukrainischen Teilnehmerinnen Anna und Olha Katha und mir, den deutschen Teilnehmerinnen, atemberaubende Bilder der ukrainischen Landschaft zeigten, war ich sofort fasziniert und konnte zunächst nicht glauben, dass diese Fotos von rosa Seen in der Ukraine gemacht wurden. Es gibt ein Dutzend natürlicher rosa Seen in der Region Kherson im Süden der Ukraine – ein Gebiet, das jetzt vom russischen Militär zerstört wird. Im Reservat Kinburn Spit wüten seit Mitte April Waldbrände, die die einzigartige Pflanzen- und Tierwelt des Landes vom Aussterben bedrohen. Zerstörungen wie diese können als militärischer Ökozid verstanden werden, und jeder Tag des Krieges fügt der bereits langen Liste vorsätzlicher Ökozide gegen die Ukraine und die Welt neue schwere Verbrechen hinzu. Wir sprechen von der Vergiftung des Wassers, des Bodens und der Luft ebenso wie von nuklearen Drohungen oder dem Beschuss von Öldepots.

Der Begriff Ökozid beschreibt die Zerstörung der Umwelt im Allgemeinen, aber es geht nicht nur darum, die Verbrechen gegen die Natur als solche zu identifizieren. Es gibt internationale Initiativen und Befürworter wie „Stop Ecocide International“, die darauf drängen, dass die internationalen Gerichte Ökozid als fünftes Verbrechen neben Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression in das Römische Statut aufnehmen. Ökozid ist im internationalen Recht noch nicht definiert, aber mehrere Länder, darunter die Ukraine und auch Russland, haben ihn als Verbrechen innerhalb ihrer Grenzen unter Strafe gestellt. Die kriminellen Handlungen der Russen, insbesondere die Angriffe auf Nuklearanlagen, gelten jedoch als Kriegsverbrechen im Sinne des Römischen Statuts und verstoßen gegen das Zusatzprotokoll Nr. 1 zu den Genfer Konventionen von 1949 sowie gegen mehrere internationale humanitäre Gesetze und Abkommen, wie z. B. das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung von nuklearterroristischen Handlungen. 

Die genannten verheerenden Verbrechen des Aggressors Russland könnten einen Präzedenzfall für die Definition und Anwendung des Begriffs „Ökozid“ im internationalen Recht schaffen. Mit der Zerstörung des ukrainischen Ökosystems und der Bedrohung der ganzen Welt haben die Verbrechen eine völkerrechtliche Dimension und Russland muss sich dafür verantworten.

Seit Beginn des Krieges beobachten und dokumentieren Organisationen wie das Nationale Ökologische Zentrum der Ukraine (NECU), Ecoaction oder SaveDnipro Fälle von potenziellen Umweltschäden, die durch die russische Aggression verursacht wurden, mit dem Ziel, die Umweltzerstörung durch den Krieg der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die gesammelten Fälle können dann auch vor internationalen Gerichten verwertet werden.  

Die verhängnisvolle Abhängigkeit Europas von Importen fossiler Brennstoffe aus Russland – Kohl, Öl und Gas – und anderen antidemokratischen Regimen wurde in den letzten Wochen seit dem 24. Februar aufgedeckt. Es ist eine Abhängigkeit, die Russlands Krieg, die Propaganda und den brutalen Unterdrückungsapparat im Lande finanziert hat. Um sich von russischem Öl und Gas zu lösen, hat Deutschland nun einen Vertrag mit Katar über die Lieferung von verflüssigtem Erdgas (LNG) geschlossen – einem Land, das ebenfalls für sein autokratisches Regime bekannt ist und öffentlich für unzureichende Frauenrechte, Homophobie, die Unterstützung radikal-islamischer Gruppen und die Ausbeutung von Arbeiter:innen beim Bau der Fußball-WM-Stadien kritisiert wurde. Wir müssen uns mit den Zusammenhängen zwischen Klima-, Energie- und Sicherheitspolitik befassen. Langfristig und kurzfristig ist es keine kluge Entscheidung, einen Schurkenstaat durch den nächsten zu ersetzen. Der Ausstieg aus den fossilen Treibstoffen ist zwingend notwendig, um Konflikte und die Klimakrise nicht weiter anzuheizen. Die Energiepolitik braucht eine Wende hin zu grüner Energie, bei der die erneuerbaren Energien ausgebaut und beschleunigt werden.  

Ein Zitat, das mich sehr berührt, stammt von Polly Higgins, einer Juristin und Visionärin. Sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, auf der ganzen Welt auf den Ökozid aufmerksam zu machen und ihn zu kriminalisieren. Wir fühlen uns oft klein und machtlos, aber dieses Zitat gibt uns eine Perspektive auf eine Welt, in der moralische Werte Vorrang vor wirtschaftlichem Wachstum haben. Die Regeln in unserer Welt können und müssen geändert werden. Im Rahmen dieses Projekts können wir damit beginnen, die Verbrechen, die in der Ukraine geschehen, bekannt zu machen. Davon ausgehend können wir uns mit den Umweltverbrechen auf der ganzen Welt und ihren Ursprüngen befassen.    

„Die Regeln unserer Welt sind Gesetze, und sie können geändert werden. Gesetze können einschränken oder ermöglichen. Es kommt darauf an, wozu sie dienen. Viele der Gesetze in unserer Welt dienen dem Eigentum – sie basieren auf dem Besitz. Aber stellen Sie sich ein Gesetz vor, das eine höhere moralische Autorität hat… ein Gesetz, das die Menschen und den Planeten an die erste Stelle setzt. Stellen Sie sich ein Gesetz vor, das vom Grundsatz ausgeht, keinen Schaden anzurichten, das dieses gefährliche Spiel stoppt und uns an einen Ort der Sicherheit bringt….“ Polly Higgins, 2015 (eigene Übersetzung des Originalzitats)

Geschrieben von Nele König.

Übersetzt ins Ukrainische von Olha Mordiuk und ins Deutsche von Nele König.

Verwendetes Material:

  1. “The Kremlin’s “ecocide” is the Putin regime’s crime against Earth”, ein Artikel von Pavlo Lodyn vom New Eastern Europe (April 2022)
  2. Stop Ecocide International, eine gemeinnützige Organisation, die sich für die Anerkennung von Ökozid als internationales Verbrechen einsetzt
  3. „In the south of Ukraine, the Russian military is destroying the unique Kinburn Spit Reserve“, ein Artikel vom Ukraine crisis media centre, eine Nichtregierungsorganisation, die sich für die Entwicklung eines autarken ukrainischen Staates und einer autarken ukrainischen Gesellschaft einsetzt und nun russische Kriegsverbrechen in der Ukraine sammelt und veröffentlicht
  4. Defuel Russia’s War Machine, ein Zusammenschluss mehrerer Umweltorganisationen, um die Treibstofflieferungen aus Russland zu stoppen

    In the south of Ukraine, the Russian military is destroying the unique Kinburn Spit Reserve

    Оригінал статті – на сайті Українського кризового медіа-центру: https://uacrisis.org/en/na-hersonshhyni-rosijski-vijskovi-znyshhuyut-unikalnu-zapovidnu-kinburnsku-kosu

    In the south of Ukraine, the Russian military is destroying the unique Kinburn Spit Reserve

    Оригінал статті – на сайті Українського кризового медіа-центру: https://uacrisis.org/en/na-hersonshhyni-rosijski-vijskovi-znyshhuyut-unikalnu-zapovidnu-kinburnsku-kosu