Gipfelstürmer: Wozu braucht Europa die Alpen?

von | 27. August 2018

Henaralm | Vom 13.-16. August stand die Kuppel der European Public Sphere auf der Henaralm zwischen den Gipfeln des Toten Gebirges. Diese Station im Grenzgebiet von Steiermark und Oberösterreich ist Teil unserer Tour anlässlich des Vorsitzes Österreichs im Rat der Europäischen Union. Es ist auch ein Ziel unserer Initiative solche besonderen Orte aufzusuchen und die Fragen auszuloten, die sich dort für Europa ergeben. Edda Dietrich berichtet von ihren Eindrücken.

Verrückt ist die Idee schon: Die European Public Sphere auf der Henaralm in den Alpen auf 1638 Metern. Zwischen Kühen und Ziegen im Toten Gebirge in Österreich wird sie Fürsprache halten für eine unzerstörte Natur, die es zu bewahren gilt. Eine Aufgabe für uns Menschen in Europa.

Das passt.

Aber: Vor mir liegen 1000 Höhenmeter. Ich starte den Aufstieg mit dem Kuppelbauer Christian am Grundlsee, der auf 600 Metern liegt. Das Hinweisschild zur Henaralm weist 3,5 Stunden aus. Ich rechne mal mit fünf bis sechs Stunden, da ich ungeübt bin und vom Schreibtisch komme. Auf geht’s!

Nach einer halben Stunde Aufstieg, kommen mir ersten Bedenken. Schon steil hier. Mir bleibt die Luft weg. Weiter. Schritt für Schritt kämpfe ich mich nach oben. Christian wartet geduldig, liebevoll ermuntert er mich alle gefühlte 50 Meter: „Du schaffst das.“ Dann haben wir den ersten Anstieg durch den Wald tatsächlich hinter uns gebracht.

Mein Begleiter weist nach oben. „Da müssen wir hinauf.“ Ich sehe nur steile Felswände. „Auf keinen Fall, das schaffe ich nicht. Ich steige wieder ab.“

Doch wir klettern weiter. Die Sonne brennt. Gutmütige Wolken spenden ab und an Schatten.

Video vom Kuppelgespräch am 14. August 2018

„Die Alpen haben Europa für lange Zeit getrennt. Dadurch haben sich unterschiedliche Kulturen und Traditionen entwickelt. Von dieser Vielfalt profitieren wir heute. Diese Vielfalt macht Europa aus, die unterschiedlichen Charakteristika, die Sprachvielfalt, die auch gepflegt wird. Tradition und Offenheit für das Anderssein, darum geht es ja eigentlich.“

Kara

Albert Appelhaus

Dann kommt uns Josef, der Hüttenwart der Henaralm-Hütte und gleichfalls Kuppelbauer, entgegen gehüpft: „Nur noch wenige Wenden und jenes steile Stück, dann habt ihr den schwersten Teil hinter euch.“

Psychologisch geschickt aber faktisch nicht ganz stimmig.

Egal. Endlich erreichen wir das ersehnte Hochplateau und Josef lächelt: „Hier beginnt unser Wunderland: Jetzt müssen wir noch durch 16 Kare. Kare meint Eintiefungen an Berghängen unterhalb von Gipfel- und Kammlagen, die von kurzen Gletschern ausgeschürft worden sind“, erklärt er.
Ich frage nach: „Sechzehn?“ – Nach 8 Stunden erblicke ich eine kleine Holzhütte mit wehender Fahne. Endlich.

Sebastian reicht mir eine Limonade, während Pavel und Peko zur Gitarre greifen. Sie stimmen das Lied der Henaralm an. Das ist ja mal ein Willkommen. Ein heftiges Berggewitter zieht auf.

Gutes Timing, denke ich, – und: Ich sitze.

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Am nächsten Tag bei leichtem Regen gehen wir gemeinsam hinauf zum Albert-Appel-Haus, eine komfortable Schutzhüte für die vielen Bergwanderer. Es sind etwa 15 Gehminuten – selbst für meine müden Füsse keine große Anstrengung mehr.

Ich blicke nach oben und da ist sie: die Kuppel.
Wie ein geschliffener Diamant thront sie auf dem Felsvorsprung. Ich bleibe stehen.

Am Nachmittag finden wir uns in der Kuppel ein. Wir hoffen, dass das Wetter hält. Eben noch hat es geregnet und das erste Mal seit Wochen in diesem heißen Sommer friere ich.
Josef begrüßt uns. Vor allem sind es seine Freunde, aber auch Kara vom Appel-Haus ist gekommen. Ari sein Hund verursacht leichte Unruhe, aber dann sind wir mitten im Gespräch.

So sitze ich nach meiner ersten Bergbesteigung an einem sonderbaren Ort und finde erst jetzt die Kraft, die Landschaft um mich herum zu genießen. Leichter Stolz schleicht sich ein, dass ich das geschafft habe. Noch viel mehr aber berührt mich das Gespräch, das sich nun entwickelt. Einfach und geradeheraus.

Ich spüre, wie die Natur hineinwirkt und wir weniger mit uns selbst als mit dem, was die Alpen uns geben, beschäftigt sind: mit der Macht der Höhe, der harten Arbeit und der Freiheit der Almbauern, der Vielfalt ihrer Sprachen und Traditionen. – Wozu braucht Europa die Alpen?

Dann bricht Darko mit wenigen Sätzen diese Innigkeit: „Ich habe 11 Monate in Europa im Bosnienkrieg gelebt.“ Sein Einwurf enthält keine Klage, sondern birgt die Idee eines Kindergeldes für alle Kinder in Europa. Er weiss, worauf es ankommt.

Am nächsten Tag werde ich von den lauten Rotorblättern der Hubschrauber geweckt. Sie fliegen die älteren Menschen hinauf zum Albert-Appel-Haus, wo heute zu Maria Himmelfahrt eine Heilige Almmesse gefeiert wird. An diesem Tag steht die Kuppel nicht einsam dar. Etwa 80 Menschen richten sich an dem kleinen Hang Richtung Kuppel aus, in der ein kleiner Altar aufgebaut worden ist.

Am nächsten Tag – an Maria Himmelfahrt – bietet die Kuppel den Raum für eine Almmesse

Ich weiß nicht, ob ich das gut finde. Die Kuppel ist für mich mehr das Symbol der Überwindung der Religionen und nun steht da dieser katholische Altar.
Aber der junge Kaplan mit seiner smarten Sonnenbrille versöhnt mich, als er spricht: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“

Das ist für mich die Idee der Kuppel. Die Schöpferkraft, die um uns herum wirksam ist, aber der Heilige Geist in jedem Menschen, also das Göttliche in jedem von uns. Für mich ist es das, was zu tun ist, den Christus, die Maria, den Buddha oder Allah, den Heiligen Geist in jedem Menschen zu erkennen und wirksam sein zu lassen. Ich denke, so könnten wir allmählich die Religionen überwinden und uns dem wahren Wesen der Demokratie nähern.

Ja, vielleicht brauchte es die Höhe der Alpen, um das noch mal so deutlich wissen zu können. 

Einige Fotoeindrücke von unserem Besuch auf der Alm: