Bin ich die Einzige, die sich an den Mann aus San Sebastiàn erinnert?

von | 30. April 2018

Donostia – San Sebastiàn, Spanien (Baskenland) | Im April konnten wir bei einem unserer ersten aus der Ferne organisierten Kuppelgespräche ein überraschendes Bild zeichnen und an unserem Entspanntheitsgrad arbeiten! Dank scheinbar ähnlichen Erfahrungen, San Sebastiàn jetzt in den Worten der Band DeVotchKa.
„It’s just a few more miles.“

„Es sind nur noch ein paar Meilen.“ – Eigentlich nicht so wenige. Das Baskenland war ein Pilotprojekt, unser erstes Mal, bei dem wir einen Dome-Talk über ganz Europa hinweg organisierten, weit weg von unseren Büros in Köln und Wien. Und so viel musste im Vorfeld vorbereitet werden: Themen, Ort, Übersetzung, Genehmigungen, Flüge und Zimmer für die Crew, wo und wann sich die österreichischen und deutschen Miterbauer am Tag der Veranstaltung treffen sollten. Und vor allem, wie baut man die Kuppel eigentlich auf? Während der vorangegangenen Gespräche hatte sich der Erfinder ein neues und schnelleres System ausgedacht. Während die österreichische Seite bereits einige Male geübt hatte, war der Bau für die Mitarbeiter von Democracy International völlig neu. Da wir einen Tag früher ankamen, konnten wir schon mal alles erkunden. Schöne Stadt, schöne Lage auf einem der Hauptplätze mit Blick auf das Meer und direkt am Übergang zur Altstadt. Und es gelang uns, einige Aktivisten zu „rekrutieren“, die für die Baskische Republik demonstrierten.

 

„Ah, don’t look so nervous man
We’re just here to lend a hand“

„Ah, schau nicht so nervös, Mann. Wir sind nur hier, um dir zu helfen.“ – In der angenehm milden Morgentemperatur des san-sebastianischen Frühsommers verlief der Aufbau tatsächlich reibungslos, wenn auch nicht gerade in Rekordzeit. Um 12 Uhr waren wir fertig und konnten uns ein wenig abkühlen. Viele Menschen hatten den Europe-Dome bereits passiert und die Struktur bewundert. Kinder wollten in und auf ihm spielen. Ziemlich herausfordernd bei den ganzen Nachfragen zu erklären, was wir da eigentlich treiben. Die Dolmetscherin, Sonia von der Initiative eCivis, sollte erst kurz vor dem ersten Gespräch ankommen und unser Spanisch war mehr als eingerostet. Aber wir schafften es, auch mit Händen, Füßen und etwas `Fr-anisch‘. Während die Kuppel selbst viel positive Aufmerksamkeit erregte, konnten wir gleichzeitig zu einem eher negativen Verständnis der Menschen von nationaler und europäischen Politik kommen. Phrasen wie „die stehlen unser Geld“ oder „die sind alle korrumpiert“ waren keine Seltenheit. Einige wandten sich schimpfend ab, sobald sie herausfanden, worauf unsere Konstruktion abzielte.

 

„I don’t want to spoil the fun
But am I the only one?“

„Ich will den Spaß nicht verderben, aber bin ich die/der Einzige?“ – Eine weitere kulturelle Besonderheit, die wir unterschätzt hatten: die Siesta. Unser erstes Gespräch war für 14 Uhr angesetzt. Nach 13 Uhr leerte sich jedoch plötzlich der zuvor stark frequentierte Platz. Eine weitere Sache, die wir bei den vorangegangenen Gesprächen nicht so erlebt hatten: Trotz Simultandolmetschens entmutigte Englische viele Menschen von der Teilnahme. Einige wenige Leute von Donostia bis zu den USA schafften es dennoch unter die Kuppel und gaben dem Vortrag einen eher intimen Charakter – so intim, dass die richtige, unterstützende Art von Umarmungen ein aktiver Teil des Gesprächs wurde. Weitere Themen waren Bildung in der EU, Solidarität, die spürbare Distanz der Bürger zu europäischen Handlungen und Institutionen sowie der Zustand der Demokratie in Spanien und im Ausland.

Video vom Dome-Talk in San Sebastián
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„Wir sind in der Europäischen Union, aber niemand hat uns gesagt, was für Vorteile es hat in der Europäischen Union zu sein. Wir sehen das nicht klar. Die Briten haben es nicht klar gesehen, als sie entschieden haben auszutreten. Ich denke, die Europäische Union sollte den Bürgern mehr erklären, was sie tut, warum sie existiert und was ihr Zweck ist.“
Teilnehmerin unter der Kuppel

European Public Sphere

„Oh, it’s never too late
To co-conspire, commiserate
All it takes is a little bit of love
And an awful lot of hate“

„Oh, es ist nie zu spät. Mitverschwören, Mitgefühl zeigen. Alles, was man braucht, ist ein bisschen Liebe. Und eine Menge Hass.“ – Und die Herausforderungen hielten an. Im ersten Vortrag nahm ein junger, lebhafter marokkanischer Einwanderer in das Baskenland an der Diskussion teil. Aufgrund seines Interesses an dem europäischen Thema kam er für die zweite Runde zurück. Während er alle Regeln der Kuppel – Dialog und respektvoller Umgang miteinander und mit den Positionen der anderen – befolgte, schien ein anderer Teilnehmer das Lesen übersprungen zu haben – und nutzte das Gespräch als lautes Ventil gegen Einwanderer. Leider dauerte es aufgrund unserer eingeschränkten Spanischkenntnisse einige Zeit, bis wir erkannten, was vor sich ging. Als sich der Teilnehmer nicht beruhigen wollte und sich immer wieder weigerte, in echten Dialog zu treten, verwiesen wir ihn schließlich der European Public Sphere. Soweit und hoffentlich auch in Zukunft die einzige Begegnung dieser Art!

 

„Am I the only one
Who remembers the man from San Sebastian?

„Bin ich die Einzige, die sich an den Mann aus San Sebastian erinnert?“ – Ein gutes hatte der unangenehme Vorfall: Er wurde zum Ausgangspunkt einer fruchtbaren Diskussion über die europäische Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen und Solidarität. Glücklicherweise blieb unser marokkanischer Vertreter bis zum Schluss, um uns mehr über sein Leben im Baskenland zu erzählen und darüber, wie sich die spanischen Bürger auch von der europäischen Politik entfremdet und alleingelassen fühlen. Also, ein letztes Mal, um DeVotchKas Frage ein für alle Mal zu beantworten – Definitiv nicht die einzigen, die sich an den Mann aus San Sebastiàn erinnern. Aber wir haben noch viel mehr mitgenommen, zurück nach Wien und Köln.

 

„All I want is one more time
Some of yours and some of mine.“

Und wir sind noch lange nicht fertig: „Alles, was ich will, ist, noch einmal etwas von dir und etwas von mir.“ Das ist das Prinzip der European Public Sphere. Ein weiteres Mal ist jedoch nicht genug. Während unsere Österreich-Tour noch im Gange ist, stecken wir voller Ideen, wohin uns die nächsten Reisen führen könnten: die Niederlande, Belgien und Luxemburg, 10 Stationen in Mittel- und Osteuropa oder eine Brexit-Tour stehen zur Debatte.

Einige Take-Aways und Denkanstöße für zukünftige Gespräche:

– Die Landessprache ist die Sprache der Sphere.

– Und, wer hätte es gedacht, Timing ist entscheidend

Interview mit Sonia Prieto Gonzales von eCivis

Einige Fotoeindrücke von unserem Dome-Event: